Referenz: Austellungskatalog 1974

Ausstellungskatalog zu u.a. 1974 Art ‘5 Basel. IKI-Düsseldorf, Galerie Villinger, Würzburg

Ernst HANDL

Maskierte Wesen schreiten durch düstere Hallen, posieren vor Spiegeln und prallen entsetzt vor der eigenen Hässlichkeit‚ vor den Fratzen zurück. Arme todgeweihte Kreaturen trachten, steile Felswände zu erklimmen, flüchten in düster drohende Höhlen, eine Szenerie voll von Spiegeln und Spiegelungen, Halluzinationen, Wunschvorstellungen und Zwangssituationen, eine Bühne, auf der notdürftig Maskierte, die eigentlich kein Gesicht haben, ein groteskes Ballett aufführen: Das ist die Welt, die der Wiener Maler Ernst Handl (Jahrgang 1949) in seinenBildern und Zeichnungen darstellt, das heißt, die er mit der typischen Gewissenhaftigkeit und Akribie eines Schülersder Klasse Anton Lehmdens an der Wiener Akademie der bildenden Künste neuerschafft.Bei Lehmden ist Handl allerdings erst seit 1972. Begonnen hat er, vor allem mit expressiv aufs Papier gestricheltenRohrfederzeichnungen, bei Professor Hessing, bei dem er sich Methode und Systematik erarbeitete, die menschlicheGestalt expressiv zu formen und in einen Umweltrahmen einzuspannen. Gerade aus diesen Form- und Bewegungsstudien, aus diesen Versuchen, Ausdrucksmomente allmählich zu differenzieren, hat er eine gewisse Sicherheit derDarstellung, des Vortrags seiner im Grunde expressiv orientierten Themen gewonnen. Entscheidende Anregungenvor allem für‘ seine Symbolik, entnahm er den Grundstudien der Psychologie, die freilich nur Intermezzocharakter hatten.Wer Handls Bilder und Zeichnungen auf ihre (durchaus traditionelle) Symbolik untersucht, wird das ganze Repertoire manieristischer Themen, Metaphern, Symbole, Zusammenhänge finden, darunter so manches, das bereits imklassischen Surrealismus zum Bestand gehörte und auch von der Wiener Schule des phantastischen Realismus aufgenommen und für den eigenen Gebrauch realistisch adaptiert wurde. Da sind die geheimnisvollen Gesichter,die pflanzengleich aus den Felsenbildungen wachsen oder Tropfsteinhöhlen bekrönen; „Spinne Mitleid“, dieschon Christi Gebein gefressen hat, kried1t herauf aus einer Todeshöhle; auf dem Bild „Letzte Rast“ ruht einejunge Frau in einer Höhle, ehe sie ihren Gang ins ungewisse Dunkel, ins Innere antritt; und menschliche Wesengehen in ausgefressenen Steinkavernen, in Mund- und Ohrenhöhlen ein und aus. Über dem Abgrund einer tiefenSchlucht klettert einer mit letzter Kraft. Aber man ahnt: das Gestein wird abbröckeln, die Kraft wird ihn knappvor dem Ziel verlassen, die Tiefe gähnt. Und ein Anachoret betet im Hintergrund . . .Höhlen, Schluchten, Abgründe als Abbilder eines Innenlebens . . . eine Art von Klaustrophobie schwelt unter denspiegelglatt lasierten Maloberflächen. Beängstigende atmosphärische Unsicherheit, ungewisses Drohen und Vibrieren, wie vor dem großen Erdbeben wird unter der technisch gefällig bearbeiteten obersten Schichte spürbar, erzeugt das unbestimmte Rumoren. Vor allem in Handls letzten Bildern, zum Beispiel in der vulkanischen „Letzten Einsamkeit“, wo einer bildlich in die nur erahnbare Tiefe des Kraters hinabstarrt . . . in die eigene Tiefe, in den Menschen-krater, der genauso eine Metapher ist wie etwa Handls „Zerbröselte Zeit“: eine Zeichnung, in deren Mitte das Zifferblatt einer Uhr ausgebreitet liegt; die Zahlen sind Menschen, puppenhafte Figuren;_die Zeiger sind gebrochen und darüber lagern drei Figuren, die resignierenden drei Lebensalter, vor der Perspektive der Großstadt. Auch hier, wie fast überall in Handls Arbeiten das gebannte Hinstarren, Hineinstarren in eine nicht messbare, auslotbare Tiefe.Literarische Assoziationen sind für Handls Bilder charakteristisch, wiewohl er nie direkt zitiert, nirgends „literarische Bilder“ malt. Aber dass etwa Nietzsches „Zarathustra“ ihn zu einigen Arbeiten angeregt hat, berichtet er selbst.

Dass er nach Rilkes Gedicht „Der Panther“ ein Bild malen möchte, kündigt er an: Denn auch hier fasziniert ihn das Zwanghafte, das Hindurchstarren des in Starre versinkenden Tiers  zwischen den Stäben, dieses Erkennen von Wirklichkeitsausschnitten, oder richtiger: von Symbolen, die für eine Realität stehen und letzlich für die Situation des Betrachters Spiegel sind. 

Karl Heinz Roschitz